75. Jahrestag: Befreiung Leningrads in Westmedium
Russe protestiert gegen faschistische Propaganda
Das folgende Schreiben erhielt ich gestern Nacht per Mail. Ich bin entsetzt über das Verhalten der „Süddeutschen Zeitung“ (SZ) ausgerechnet zu einem Gedenktag in Russland mit Bezug zum letzten Weltkrieg und zu einer Stadt wie Sankt Petersburg (vormals: Leningrad), die wie kaum eine andere für Russlands Nähe zum Rest Europas steht. Aber die SZ ist nicht das einzige große westliche Medium, das sich an unseren russischen Nachbarn und Freunden in ekelhafter Weise vergeht, auch an anderen Tagen.
Sehr geehrter Herr Hörstel,
ich möchte Ihre Aufmerksamkeit auf den Artikel „Moskau missbraucht das Gedenken an Leningrad“ von Silke Bigalke in der Süddeutschen Zeitung lenken:
https://www.sueddeutsche.de/politik/russland-wehrmacht-leningrad-weltkrieg-1.4300914
Da muss ich gestehen: Ich bin weder überrascht noch erschüttert über das Ausmaß des Zynismus einer Autorin, aus deren Feder hemmungslos Sätze fließen wie:
„Die Machthaber in Moskau stellen die Belagerten bis heute als Helden dar, die den Deutschen tapfer widerstanden“.
Oder:
„Bis heute muss man in Russland aufpassen, was man über die Blockade sagt. Der kritische TV-Sender Doschd stellte vor fünf Jahren die Frage, ob es nötig war, die Stadt zu halten – auf Kosten hunderttausender Leben. Die Kabelbetreiber nahmen den Sender aus dem Programm. Jüngstes Beispiel: Ein Film von Alexej Krasowskij feierte auf Youtube Premiere. Der Regisseur sah keine Chance, dass „Das Fest“ eine Genehmigung für die russischen Kinos bekommt. Die Satire zeigt, wie eine Familie während der Blockade Silvester feiert“.
Ich bin weder erschüttert, noch überrascht, weil ich an die Perfidie der Establishment-Medien der Bundesrepublik gewöhnt bin. Aber mich wundert, ob ein durchschnittlicher SZ-Leser es einfach so hinnimmt? Und ob jemand auf den Gedanken kommt, zu fragen, wie die deutsche Presse reagieren würde, wenn jemand kritisierte, dass die Machthaber in Tel-Aviv die Holocaust-Opfer als Helden darstellten, oder monierte, dass eine Satire über Holocaust keine Chance habe, eine Genehmigung für die deutschen Kinos zu bekommen?
Das alles ist zu offensichtlich. Nicht so offensichtlich für einen in relativer Sicherheit lebenden Bundesbürger ist vielleicht der Grund, warum in Russland die Befreiung der Stadt mit einer Militärparade gefeiert wird. Meine Antwort ist: Weil die NATO-Truppen 135 Kilometer vor Sankt-Petersburg stehen. Und weil die Bereitschaft, die Russen bzw. „Pro-Russen“ z.B. beileibe verbrennen zu lassen, nach wie vor vorhanden ist. Konkret meine ich den Vorfall, als Steinmeier im Jahr 2014 den Kranz zum Gedenken an die im Gewerkschaftshaus in Odessa verbrannten Menschen zurück nach Berlin nahm, weil:
„Der neue Gouverneur Igor Palizja bittet ihn, darauf zu verzichten, vor dem Gewerkschaftshaus den mitgebrachten Kranz niederzulegen – man wisse nicht genau, wie die Leute in Odessa darauf reagieren. Steinmeier lässt es also sein.“ https://www.moz.de/landkreise/barnim/bernau/artikel3/dg/0/1/1278787/
Mit freundlichen Grüßen aus Sotschi, Russland
F.V.
Foto Silke Bigalke: aus SZ, Foto: Håkan Målbäck