Egon Bahr gestorben – sein Sachverstand und Russland-Bezug bleiben
Natürlich weiß man, dass alte Menschen sterben, natürlich war Egon Bahr uralt. Aber er war immer geistig so frisch und neugierig, so offen und unverstellt, so unvermittelt blitzgescheit, dass er immer wirkte wie ewig jung.
Möge er in Frieden ruhen, er, der für den Frieden in Europa gewirkt hat wie kaum einer, außer natürlich: Willy Brandt. Möge es seinen Lieben, Freunden und Bekannten leicht werden, nach vorn zu schauen – und im Sinne des Friedens weiterzuwirken, der Egon Bahr am Herzen lag.
Wir trafen uns drei Mal, jedes Mal für eine gute Stunde; wir überzogen immer ein bisschen. Unsere ersten beiden Gespräche verliefen ähnlich: Ich sprach etwas an, er sprach, er dozierte. Auf seinen Professorentitel legte er Wert. Beim ersten Mal, 2009, riet er mir, Obama zu unterstützen. Ich war nicht überzeugt – aber widersprach nicht. Ich schrieb ihm dann, als ich Obama zum ersten mal in Grund und Boden kritisierte, wegen der dummen Erhöhung der Truppenzahlen in Afghanistan zum 1. Dezember 2009, wenige Tage vor der Verleihungszeremonie für den Friedensnobelpreis. Den man ihm allein für dieses Verbrechen bereits hätte entziehen müssen.
Einmal rief er mich spontan an, weil er so begeistert war über meine Arbeit für die deutsch-russische Visafreiheit im Rahmen des Deutsch-Russischen Forums. Schnee von gestern: hat das Merkel alles wie befohlen plattgewalzt.
Unser letztes Treffen Ende 2014 verlief ganz anders. Er ging den Weg nicht mit, weg von Washingtons ständigen Verbrechen, hin zu einem neuen Nachbarschaftsverständnis in Europa, neuen globalen Sicherungssystemen. Er war nun tatsächlich gealtert. Er sagte, er könne Putin nicht spüren. Was half es, dass ich ihm sagte, so schwierig sei das doch gar nicht.
Er mochte nicht glauben – oder wollte dies nicht zeigen -, dass Russland um die Krim notfalls in einen Atomkrieg einsteigen würde – unter der „Putin-Doktrin“, dass dieser Schritt unvermeidlich sei, sollte der Westen Russland in einem konventionellen Krieg in Existenznot bringen. Er hielt Putins Politik letztlich für leeres Säbelrasseln. Aber wir beide spürten, dass seine Beschwichtigungsversuche bei mir nicht mehr verfingen. Er ließ mich spüren, dass er meine scharfe Kritik an seiner Partei nicht gut vertrug. Das ist nur zu verständlich. Aber dass er nicht mehr zusammenarbeiten mochte, um das Schlimmste zu verhüten, das war bedauerlich.
Ich sagte ihm, er könne mir vertrauen, schließlich sei er mit der Story um die Kanzlerakte in seiner Not schließlich selbst zur „Jungen Freiheit“ gelaufen, weil ich nicht quatschte. Wir lachten zusammen, als ich ihm erzählte, dass er mir im zweiten Treffen ungefragt drei Mal gesagt hatte, Deutschland sei nicht souverän. Und offenbar davon ausgegangen war, dass ich das herumerzählen würde, weil sie eben alle schwatzen. Aber der Hörstel hielt dicht – und ich weiß ja nicht, wem er das noch erzählt hat, damals. Jedenfalls ging die Sache „nicht durch“, kam nicht an die Öffentlichkeit. Er lachte, als ich ihm das so schilderte, fühlte sich ein wenig durchschaut, fand es aber doch lustig. Dafür mochte ich ihn. Er qualmte immer wie ein Schlot, gab mir aber keine Zigarette, als er von mir hörte, dass ich nur in solchen Gesprächen rauchte. „Dann brauchen Sie auch keine“, sagte er kurz.
Bahr hielt dann eine brillante Rede und bekam minutenlangen stehenden Applaus: im März, bei der Mitgliederversammlung des Deutsch-Russischen Forums, dessen Haass-Preisträger er wurde. Das hat ihm gutgetan, er wusste nicht, dass er noch so beliebt war, dass er so starken Anklang fand. Wie habe ich mich darüber gefreut – und deshalb, wieder einmal als einziger, laut „Bravo!“ gerufen.
Unsere Gemeinsamkeiten sind über die Jahre weniger geworden. Ich finde Egon Bahr eine hervorragende Persönlichkeit, ohne ihn ist Berlin deutlich langweiliger. Wen gibt es dort noch von seinem Format? Und der Frieden wird wieder ein bisschen schwächer.
Ich bin traurig. Ich bin froh, ihn getroffen zu haben, froh über jede Minute, auch die Meinungsverschiedenheiten. Egon Bahr war ein sehr großzügiger Mann. Ich weiß nicht, ob er demnächst Himmel und Hölle mit „Wandel durch Annäherung“ zusammenbringt. Aber ich weiß, dass er in meinem Leben präsent bleibt. Ich habe von ihm Lehren angenommen.
Foto: (c) Voice of Russia