Säureattentate gegen Frauen in Isfahan/Iran: Wollen westliche Geheimdienste Iran schaden?
Heute früh gehe ich gewohnheitsmäßig durch die Meldungen eines bekannten deutschen Wochenmagazins, dessen journalistische Fehlleistungen ich nahezu täglich mit abarbeiten muss, um der Propaganda den Boden entziehen zu helfen. Was sehe ich: Im Iran, ausgerechnet im eher „lockeren“ und weltläufigen Isfahan, Teppich-Metropole und beliebtes Touristenziel mit wundervollen historischen Bauten, häufen sich plötzlich Säure-Attentate auf Frauen am Steuer. Zwischen vier und vierzehn, da gibt es unterschiedliche Zählungen. Allein das macht mich schon stutzig. Säureattentate kennen wir aus Afghanistan und Pakistan, zwei Länder mit einer kleinen Minderheit seltsamen kriminellen Gelichters, das für seine fürchterlichen Vorgehensweisen den Namen des Islam missbraucht.
Aber Iran? Nur zu gut erinnere ich mich an meine Reisen 2005: Wie locker und selbstbewusst sehr viele junge Frauen sich schminkten, die Haare kaum verhüllten, rauchten, Auto fuhren – und, ja: auch offen flirteten. Ziemlich heftig sogar. Ich habe niemals auch nur einen Iraner einen ablehnenden Blick auf diese selbstbewusste Jugend werfen sehen, die da studiert, arbeitet, sich ohne Einschränkung auf den Straßen bewegt; anders als in Deutschland gibt es technische Studienfächer im Iran, die in der Mehrzahl von Studentinnen belegt sind.
Ich möchte nur mein Erleben mit dem Beitragstext von heute früh schildern, ganz subjektiv. In dieser freizügigen Gesellschaft, der erfolgreiche Teheraner Bürgermeister Ahmadinedschad war soeben zum Präsidenten gewählt worden, sollten plötzlich Säureattentate stattfinden? Man mag mich für einen Verschwörungsfreak halten, ich sag’s trotzdem: Mein spontaner Eindruck war, das stimmt überhaupt nicht, das ist un-iranisch, da ist etwas faul, jemand will dem Iran schaden. Dann lese ich weiter – und am Schluss steht folgender beeindruckender Satz: „Eine krude Erklärung für die Taten lieferte schließlich Abbas-Ali Mansouri, ein Mitglied des Sicherheitskomittees im Parlament laut ISNA. Er vermutete „ausländische und zionistische Geheimdienste“ hinter den Attacken. Ihr Ziel: dem Ansehen des Islam zu schaden.“ Wieder ein spontaner Gedanke: Herr Mansouri, ich stimme Ihnen zu. Ich würde nur das mit den Zionisten weglassen, da klingt man im westlichen Ausland immer wie ein Eiferer, das liegt an den gewohnheitsmäßigen Falschdarstellungen in unseren Medien. An den Tatsachen liegt es leider nicht.
Also kommen wir zu den Tatsachen.
Betrachten wir Land und Leute: Ist der Iran ein Land, in dem die meisten jungen Frauen gewohnheitsmäßig berufstätig, selbstbewusst in der Öffentlichkeit, locker im öffentlichen Auftritt sind? Ja. Gibt es radikale Kreise, die das so stört, dass sie zu allen möglichen bekannten üblen Handlungsweisen greifen, die wir aus anderen Ländern kennen? NEIN. Wir haben sogar ein Gegenindiz: In Isfahan gibt es einen richtig erzkonservativen Ayatollah Rahbar, Vorbeter in der Moschee, der hat sofort diese brutalen Übergriffe scharf verurteilt. So kenne ich den Iran: Es gibt erhebliche Meinungsverschiedenheiten, völlig unvereinbar und unversöhnlich prallt es wild aufeinander – aber Brutalitäten: sehr selten. Gerade in Glaubensdingen wird scharf diskutiert, verurteilt, auch der Staat kann manchmal durchgreifen – aber Säureattentate, da fehlt dem „Durchschnittsiraner“ das seelische Gerüst dazu, das ist nicht typisch. Vor vier Jahren gab es einen Fall, der ging um die Welt. Dem Spiegel gebührt das Verdienst, die betroffene junge Frau auch interviewt zu haben – und nicht nur ein bisschen geschrieben. Der Fall erregte auch deshalb Aufsehen, weil diese Fälle im Iran eben selten sind. Weiterhin großes Aufsehen gab es, als das erblindete Opfer, das soeben vor Gericht eine Rache-Erlaubnis erstritten hatte, später im Krankenhaus-Operationssaal auf den Vollzug verzichtete. Der Täter und dessen ganze Familie lagen ihr zu Füßen.
Betrachten wir das politische Umfeld: Wir, Mitglieder der Nato, befinden uns weiterhin im unerklärten Krieg gegen Iran: Die ungeheuerlichen Machenschaften um IS, eine international geförderte Söldner-Terrortruppe, die in Nah- und Mittelost Interessen der Regierungen der USA und Israels dient – nicht den Interessen ihrer Völker – diese IS-Truppe richtet sich auch gegen den Iran. Dann werden plötzlich, statt der Opfer-Staaten, andere Milizen hochgerüstet: Kurden. Und siehe da, es sind traditionell auch Kurden, die mit US-Unterstützung den Iran angreifen, von außen und von innen, seit Jahrzehnten. Genialer Schachzug: Da bekämpfen sich zwei, doch einen der wichtigsten Kriegsgegner der USA im Mittleren Osten, den Iran, den bekämpfen beide gemeinsam. Und was ohnehin weitergeht, das sind die inneren Zersetzungsbestrebungen Washingtons im Iran, die Nutzung von Geschäfts- und Familienverbindungen, Drogenmafia aus Afghanistan, Stammesprobleme mit den Belutschen, Terrorattacken von außen, gern gegen iranische Atomwissenschaftler, deren Namen rechtswidrig über Berichte der Wiener Atombehörde in die Öffentlichkeit gelangten. Und zur Zeit: die vermutlich spannendste und sensibelste Phase der 5+1-Gespräche. Wer weiß, sich bewusst ist, dass die westliche Regierungsgemeinschaft so funktioniert, dass Geheimdienste, Militär, Politik und Medien im Netzwerkverbund als Einheit auftreten, ganz offiziell, gern auch mit NGO-Beteiligung – den wundert fast nichts mehr. Es geht darum, dass Iran möglicherweise leichter am Verhandlungstisch zum Nachgeben zu bewegen ist, wenn soeben der internationale Ruf des Landes leidet. Und fatal ist, dass weniger gut informierte Menschen, eine Mehrheit, diesen Anlass nehmen, um daran zu denken, dass ja noch ein anderes islamisches Land mit seinen Autofahrerinnen Probleme hat. Das ist zwar Irans regionaler Gegenspieler Saudi-Arabien, mit wirklich furchtbaren politischen (Un-)Sitten, 32.000 politischen Häftlingen etc., praktisch ein Gegenstück zum Iran – aber so ein normaler Bundesbürger sagt sich: „passt“: diese komischen islamischen Staaten wieder. Psychologisch ist das ein bestätigtes Vorurteil gegen kulturell unterschiedliche Großgruppen. Wann hatten wir das zum letzten Mal in Deutschland?
Und schließlich bietet die Ausführung der schrecklichen Tat einen Fingerzeig, selbstverständlich keinen Beleg oder gar Beweis, auch nur ein Indiz: Isfahan mit mehr als zwei Millionen Menschen einschließlich Umland ist ja nicht nur Museum. Sondern auch ein wichtiger Standort der Nahrungsmittel-, Stahl-, Öl- und Textilindustrie. Und ein Zentrum der iranischen Atomindustrie mit Forschungsreaktoren und Anlagen zur Urananreicherung. Motorräder waren immer wieder bei Geheimdienst-Attentaten gegen Irans Atomwissenschaftler verwickelt, geparkt und fahrend, das gilt offenbar als geeignetes Mittel. Hier jetzt also wieder Motorradfahrer. Als Atomwissenschaftler in Isfahan wäre ich ziemlich beunruhigt. In Afghanistan und Pakistan hingegen, werden Säureattentate eher auf dem Bürgersteig verübt, wenn es einen gibt, denn für Motorradfahrer und auf der Straße ist das kompliziert, weil man mit der hochgiftigen, gefährlich ätzenden Flüssigkeit ganz schön balancieren muss. Auch haben die Täter in diesen Ländern nicht die allergrößte denkbare Eile, sich vom Tatort zu entfernen, sie empfinden ihre Tat als heldenhaft. Schließlich: Warum werden denn Autofahrerinnen angegriffen? Vorzeige-Iranerinnen im öffentlichen Berufsleben sind Anwältinnen, Ärztinnen, Professorinnen, Ingenieurinnen. Und die kann man leicht im Büro oder auf dem Weg zur Arbeit irgendwo überraschen. Ganz ohne Motorrad-Überfall. Auch das noch: Unlogisch, inkonsequent erscheinen diese Attentate – mithin: verdächtig.
Lieber Herr Mansouri, ich kenne Sie ja nicht – aber es erscheint unnötig, bei unserem dringenden und nicht so schlecht begründeten Tatverdacht, dass wir etwas werden, was man im Westen seit 9/11 diskriminierend und politisch-sozial ausgrenzend als „Verschwörungstheoretiker“ bezeichnet; und dies, obwohl die absurdeste und krudeste Verschwörungstheorie weltweit diejenige ist, die von den US-beherrschten westlichen Regierungen bis heute gegen alle anderslautenden zigtausend Belege vertreten wird: Eine in Teilen illiterate Widerstandsgruppe habe aus den afghanischen Bergen heraus das komplizierteste Multi-Attentat der Menschheitsgeschichte erfolgreich gegen die in allen Facetten false-flag-erfahrene Hypermacht USA durchgezogen. Kurz: Die verrücktesten Verschwörungstheorien kommen aus dem Westen. Aber dies ist ja Bestandteil der üblichen westlichen Propagandamasche, den Gegner genau der Taten anzuklagen, die man soeben selbst begeht. Ihnen und mir, Herr Mansouri, macht das wenig aus: Wir sind VerschwörungsPRAKTIKER; Menschen mit praktischen Lebenserfahrungen aus erster Hand im Umgang mit verdeckten Operationen.
Auch hier wieder. Vielleicht dürfen wir den Schluss des eingangs erwähnten Beitrags deshalb eher als versteckte politische Warnung betrachten, sich Ihrem zutreffenden Gedankengang, Herr Mansouri, gegen Washingtons Willen anzuschließen.
Dieser Autor ist gegen derartige Warnungen inzwischen immun.
IRIB-Interview: http://german.irib.ir/analysen/interviews/item/269436-interview-mit-christoph-hörstel
IRIB-Textbeitrag: http://german.irib.ir/analysen/item/269384-s%C3%A4ureattentate-gegen-frauen-in-isfahan-iran-wollen-westliche-geheimdienste-iran-schaden
Dokument „Joint Vision 2020: Full Spectrum Dominance“ joint_vision2020_1225
Foto Isfahan: © آرمان (ex-Wikipedia) Der Lizenzgeber unterstützt mit der Freigabe seines Werks nicht die damit verbundenen Veröffentlichungen