Zum 70. Jahrestag der Befreiung des KZ Auschwitz: offener Brief an Polens Führung: Präsident Komorowski und Ministerpräsidentin Kopacz

Exzellenzen,

sehr geehrter Herr Präsident Komorowski,

sehr geehrte Frau Ministerpräsidentin Kopacz,

Polens politische Führung hat sich entschieden, das 70-jährige Gedenken der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz durch sowjetische Truppen ohne den russischen Präsidenten Putin zu begehen. Dieser Jahrestag wird weltweit auch als Gedenktag für die massenhafte Ermordung europäischer Juden vor allem durch die Nazis in großer Trauer und unverminderter Erschütterung begangen.

Die praktische Seite dieser polnischen Entscheidung sieht außerordentlich einfach aus: Es genügte, Präsident Putin keine angemessene Einladung zukommen zu lassen, so dass er nur unter Hintanstellung seines Ehrgefühls als Präsident und der Ehre Russlands hätte teilnehmen können, während gleichzeitig eine diplomatische Note Polens an Russland erging, die seitens Polen als Einladung gewertet werden konnte, um Polen vor unangenehmen Nachfragen zu schützen.

In der Konsequenz wird dann diese Feier der Befreiung abgehalten, ohne dass die wichtigste Nachfolge-Nation der Befreier, Russland, dabei durch seinen Präsidenten repräsentiert ist.

Dies muss Russland, seine Menschen und seine Führung bitter stimmen – und alte Ressentiments auf vielen Seiten verstärken.

Dies alles ist eine souveräne und völlig berechtigte Haltung und Politik Polens – gerade Deutschland und seine Bürger sollten sich in einem solchen Fall äußerster Zurückhaltung befleißigen – und sich keineswegs einmischen.

Ganz persönlich und für die von mir geführte Partei darf ich Ihnen sagen, dass uns und mir Polen und Freundschaft zu diesem unserem Nachbarn aus Jahrhunderten leidvoller Erfahrung heraus sehr am Herzen liegt. Wenn wir die Geschichte nicht wiederholen wollen, müssen wir viele Dinge ändern, die zu dieser Geschichte geführt haben. Wir müssen einer Wiederholung sozusagen durch aktives Handeln an vielen Stellen möglichst komplett den Boden entziehen. Daran beteiligen wir uns und ich mich gern – und erhoffen und erbitten uns Ihr Verständnis und Wohlwollen dafür.

Dies geschieht vor allem deshalb, weil in Krisen und Kriegen vor allem die Bevölkerungen zu leiden haben, während sich die Leiden der Führungskräfte zumeist in engen Grenzen halten. Insofern dienen derartige Gedenkfeiern nicht etwa dem Gedenken an die zumeist maßvollen Opfer der Führungskräfte, sondern in Erinnerung an millionenfaches Leid vieler Unbekannter.

Wenn nun im polnischen Volk möglicherweise vielfach Missstimmung gegenüber Russland und/oder seiner augenblicklichen Führung herrscht, die zu dieser jetzigen diplomatischen Situation geführt hat, dann ist und bleibt es Sache der polnischen Führung in Staat und Regierung, abzuwägen, ob diese Stimmung Polen nützt oder schadet. Denn Führung kann ja nur Führung zu einem guten Ende sein, alles andere wäre Verrat an Wünschen und Hoffnungen eines Volkes. Und die Gefühle der Bevölkerung eines großen Nachbarn mit einem ehrverletzenden Schritt zu erzürnen – das könnte ja im genannten Sinne nicht sinnvolle und geeignete Führung sein.

Polen hat, das bedauern seine stolzen Bürger ebenso wie alle seine echten Freunde, eine lange, unglückliche Tradition weniger geeigneter Entscheidungen, die in Polens langer Geschichte zu fürchterlichen Konsequenzen geführt haben. Jetzt gerade fällt in diesen Tagen aus unserer Sicht wieder so eine Entscheidung, die eher geeignet ist, unerwünschte Konsequenzen zu fördern als Verständigung und Frieden zwischen den Völkern. Polen und seine Bevölkerung sind tüchtig und stolz. Unsere Befürchtung ist, dass die Früchte beider Eigenschaften beschädigt werden durch diese jetzige Entscheidungslage. Das wünschen wir unseren Nachbarn und Freunden gerade nicht.

Mächtige Kräfte unterstützen diese aktuelle Entwicklung, zum Teil aus großer Ferne – das sind genau die Kräfte, die Polen noch nie wirklich schützen konnten, wenn die Zeit der schlimmen und traurigen Konsequenzen kam. Freundschaft grundsätzlich, nicht nur zu Polen, bedeutet aus unserer Sicht jedoch nicht, alle Entscheidungen des Freundes unter allen Umständen gutzuheißen und zu bestärken, sondern Freundschaft fühlt sich stets der guten Zukunft des Freundes verpflichtet, auch wenn dies in der Gegenwart zu dem Versuch führen kann, den Freund zu bremsen und ihn zu warnen. Nicht etwa aus Schwäche, Furcht oder zum eigenen Nutzen, sondern, weil der langfristige Nutzen des Freundes in Gefahr scheint.

Ein hochrangiger polnischer Politiker hat im letzten Sommer einen größeren Skandal verursacht, weil er die Politik Polens gegenüber dessen mächtigem Freunden im vertrauten Gespräch explizit beschrieb. Seinerzeit habe ich mich öffentlich dafür eingesetzt, dass er im Amt verbleiben konnte. Das Problem ist: Diese in seltener Offenheit von einem klugen, intelligenten, stolzen und machtbewussten Polen kritisierte Politik setzt unser guter Nachbar, unser Verbündeter und Freund, seitdem aus der vermuteten privaten Sicht dieses Mannes unverändert fort, auch jetzt wieder.

Wir wollen in Deutschland nicht zu Komplizen von Polens Fehlern werden, sondern zu verlässlichen Freunden seiner Klugheit, seines Stolzes und seiner Weitsicht. Was können also Deutsche und andere, die Polen und seinen Menschen wohlwollen, in dieser Lage tun? Wir können unseren Freunden nur unsere Wahrheit sagen, so gut wir sie verstehen, nach bestem Wissen und Gewissen – und dann schweigen – und die Freundschaft unsererseits so gut wie möglich bewahren helfen.

Der Stolz des Starken respektiert den Stolz anderer. Wir wünschen unseren stolzen Freunden diese Stärke, dieses Selbstbewusstsein, das Großzügigkeit hervorbringt oder erleichtert – Polen hat die besten Gründe dazu – und vieles mehr: damit unsere Freundschaft blühen und Früchte tragen möge.

„Noch ist Polen nicht verloren“, heißt es in der polnischen Nationalhymne. Wir wollen mehr, wir wünschen von ganzem Herzen, dass Polen diesmal und dauerhaft gewinnt – überall, rundum: Respekt, gute Beziehungen, Souveränität, Stärke.

Sehr geehrter Herr Präsident Komorowski, sehr geehrte Frau Ministerpräsidentin Kopacz, bitte nehmen Sie unseren, meinen Ausdruck der vorzüglichsten Hochachtung entgegen,

mit den besten Wünschen und freundschaftlichsten Grüßen

Ihr

Christoph Hörstel

Bundesvorsitzender Deutsche Mitte