iran-shahed

Meine Flucht von „Iran-Shahed“ – und ein politischer Deutungsversuch

Meine Reise begann mit einem sehr spannenden Punkt – wie die meisten meiner Leser wissen: Nachdem ich am 31. Oktober 2008 mit brandfrischem Visum in Teheran abgewiesen und deportiert worden war, sollte nun ein Visum erst bei Ankunft am Flughafen erteilt werden – und das auch noch an einem Freitag (8. Mai), also: Feiertag!
Als das tatsächlich, wenn auch erst nach 11 Stunden, gelang, wusste ich, dass ich es mit mächtigen Kreisen zu tun hatte.
Wir fuhren dann am Samstag-Morgen (9. Mai) zu einer Sitzung mit dem Koordinator der Tour, einem Arzt, Dr. Ahmadi, der sich als sehr nett herausstellen sollte – den Lesern hier bekannt als Ersteller eines Handy-Videos von Bord eines gefährlichen Hilfsfluges nach Sanaa am 24. April…
30-40 Leute waren im Saal einer sehr schönen Tagungsanlage mit einem grün bewachsenen Terrassengarten. Im Sitzungssaal wurden wir gebeten, Fragen zu stellen, wenn wir welche hätten. Ich hatte eine, die mir für die mediale Durchsetzungsfähigkeit unserer Arbeit sehr wichtig war: Die Qualität unserer Internetanbindung an Bord, benötigt wurde eine erstklassige Breitbandverbindung. Also fragte ich danach. Freundlich erklärte Dr. Ahmadi, dafür sei selbstverständlich gesorgt.
Am Dienstag, 12. Mai, als wir bereits mit ca. 13 Knoten durch die Meerenge von Hormus dampften, wurde beim ersten Augenschein klar, dass die Angabe krass neben den Tatsachen lag: Die schwankende Verbindung brachte höchstens 45 kb/Sekunde, damit war Mail-Verkehr mit kleinen Fotos möglich. Ich versuchte trotzdem, über Nacht die Filme unserer Abfahrt von Bandar Abbas an PressTV zur Weiterleitung zu senden; am Mittwoch (13.) wurde mir dann mitgeteilt, PressTV habe alles gelöscht, das sei zu datenstark (500MB). Daraufhin habe ich mich sofort bei Dr. Ahmadi beschwert, der mit Bedauern erklärte, selbst falsch informiert worden zu sein; ich glaube ihm, er ist ein guter Kerl, Ärzte müssen solche Dinge nicht beherrschen.

So habe ich mir über die Tage hin beholfen, auch dann noch, als die tägliche Nutzungszeit für das Internet auf 30 Minuten beschränkt wurde. Was mich auch sehr störte war, dass wir für die Nutzung des Internets fünf Stockwerke hoch auf die Kapitänsbrücke klettern mussten, wo die ganze Sicherheitskommunikation (Piraten etc.) lief. Deshalb wurden auch manche gelegentlich von der Crew nicht ans Netz gelassen, bei mir war das zum Glück immer anders. In der Zwischenzeit habe ich das Verteidigungsprogramm der Deutsche Mitte fertiggestellt, das in Kürze den Mitgliedern und dann der Öffentlichkeit vorgelegt werden wird – und (r)evolutionär ist.

Um den 17. wurde uns mitgeteilt, wir sollten keine „provozierenden“ Berichte abfassen. Caleb, Samba und ich sahen uns verständnislos an: „Was ist provozierende Berichterstattung?“, habe ich gefragt, das konnte mir auch keiner erklären: Provozierend ist Berichterstattung, die sich nicht an die Tatsachen hält. Die ganzen Tage über wurden wir, besonders Caleb, ständig interviewt. Die Kollegen hatten eine Satellitenanlage an Bord, die allerdings nicht kardanisch aufgehängt war und deshalb schon bei geringem Seegang nicht mehr funktionierte. Hierzu wird mir nachträglich klar, dass wir offenbar als freundlich-positive Stichwortgeber an Bord sehr gefragt waren, nicht so sehr jedoch als unabhängige Berichterstatter. Sonst hätte man uns auch einen eigenen Satellitenzugang hinstellen können, damit hätten wir den westlichen Drecksladen aufgemischt, das schwöre ich. Aber genau das sollten wir wohl gar nicht.

Am Dienstag Abend (19.) erfuhren wir, dass das Internet oben nicht mehr funktioniere. Daraufhin ging ich eilends zu Dr. Ahmadi, um mich zu beschweren, er versprach Abhilfe: Mein Verbleib an Bord war sinnlos geworden, ich konnte draußen nichts mehr bewegen. Nachts schrieb ich eine höfliche Beschwerde an den Chef von IRIB, Sarafraz, in der zweimal das Wort „Sabotage“ vorkam. (Bis heute keine Antwort.) Ich ging dann trotzdem ‚rauf, morgens früh (20.), außerhalb meiner regulären Zeit, wurde netterweise eingelassen und stellte bei Versand meiner Beschwerde fest: Die Verbindung war noch schwächer geworden, erreichte in den Spitzen höchstens 12 kb/s. Ich habe dann alle Regeln gebrochen, verschiedene Sachen versandt, die mir wichtig waren. Als ich abends (20.) dann noch etwas versenden wollte, wurde vor meinen Augen von einem sonst sehr hilfsbereiten PressTV-Kollegen der Internetserver abgebaut. Verständliche Begründung: Dem Kollegen von der Technik würden die Datenkosten des abgelaufenen Tages persönlich vom Lohn abgezogen. Ich habe daraufhin gebeten, dass er sich bei mir meldet, damit ich den Fall der IRIB-Spitze vorlegen kann, zusammen mit einen geharnischten Protest. Der Mitarbeiter hat mich nicht mehr angesprochen, obwohl wir uns an Bord begegnet sind – der Protest wird trotzdem verfasst werden. Ich ging daraufhin sofort wieder zu Dr. Ahmadi, der sich erneut einsetzen wollte. Ich sagte: „Wenn die Leitung nicht morgen wieder steht, werde ich binnen 24 Stunden den deutschen Behörden erklären, dass ich gegen meinen Willen an Bord festgehalten werde.“ Eine harte Sache. Damit würde ich meinen Freunden Schwierigkeiten machen – und dem (inneriranischen) politischen Gegner in die Hände spielen.

Zu dieser Zeit gab es an Bord erhebliche Diskussionen über die Weiterfahrt. Wir wollten unbedingt eine neutrale Inspektion der Ladung, weil dies, angesichts möglicher saudischer Blockaden, der einzige Weg schien, eine Anlieferung nach Hodeide sicherzustellen. In der Nacht auf Donnerstag (21.) drehte das Schiff dann um und fuhr zurück nach Djibouti. Dies alles erfuhr ich nur, weil ich oben auf der Brücke stets den Kompass und den sehr netten Kapitän, Massoud Ghazi Mirsaid, befragte. Plötzlich bekam ich morgens früh Anschluss an das Mobiltelefonnetz des Jemen. Ich bat meine Frau, das deutsche Auswärtige Amt und die Botschaft in Djibouti zu informieren, dass ich gegen meinen Willen Bord der „Iran Shahed“ festgehalten würde. Ich habe meine eigene Fristsetzung gegenüber dem Verantwortlichen an Bord, Dr. Ahmadi, nicht eingehalten! Selten ist mir eine Entscheidung so schwer gefallen wie diese. Besonders ein Szenario machte mir zu schaffen: Irans Verantwortliche könnten sich einfach zur Umkehr entscheiden! Das würde weitere zehn Tage auf See bedeuten – ohne Arbeitsmöglichkeit. Inzwischen kam ich mir relativ verblödet vor: Normalerweise habe ich täglich ein Internet-Lesepensum von mehreren Stunden, dann gibt es blitzschnelle Entscheidungen über die Veröffentlichungen, danach kommt die übrige Arbeit. Ich war sozusagen „stillgelegt“. Und zwar schlecht informiert, herabwürdigend behandelt – und praktisch ein Gefangener fremder Entscheidungen.

Am Nachmittag (21.) gingen wir auf Reede vor Djibouti vor Anker. Binnen drei bis vier Stunden werde es eine Genehmigung zur Einfahrt in den Hafen geben, hieß es, danach werde binnen 20 Minuten angelegt. Ich hatte meine Zweifel – bei beiden Zeitangaben. Eine Antwort von IRIB ging nicht ein, gegen 20 Uhr wurde eine weitere Frist von drei bis vier Stunden ausgelobt, was meine Zweifel verstärkte. Sobald also mein Handy Anschluss ans Mobiltelefonnetz von Djibouti bekam, fing ich an zu telefonieren, auch mit Hilfe meiner Frau, die Hotels recherchierte etc. Kurz: Ich verdanke einem Hotelmanager, den ich nie sah – und seinem sehr tapferen Kontaktmann in Djibouti, dass der mich in einsamer, persönlicher Entscheidung schließlich um Mitternacht von Bord holen ließ, nach einer sehr bewegenden Handy-Diskussion von 45 Minuten. Ich habe ihm mein Ehrenwort gegeben, ihn nicht zu verraten. Er flog dennoch sofort auf – wir waren selbstverständlich abgehört worden. Jetzt werde ich einen Brief an den Präsidenten von Djibouti schreiben – der Mann ist Extraklasse, er gehört unterstützt statt bestraft.

Im Hafen meldete ich mich sofort bei der Einwanderungsbehörde. Die verfügte meine sofortige Verlegung in eine Station der Hafenpolizei. Es war mir nicht möglich, das Dokument, das die deutsche Botschaft inzwischen angefertigt hatte, irgendwem vorzulegen, weil ich weder Faxnummern noch Mail-Adressen erhielt – und ein Fahrer des Hotels Kempinski mit fünf Exemplaren am Tor einfach abgewiesen wurde. Dies und die Einlassung des amtierenden Botschafters, wer mit dem Iran zusammenarbeite, könne auch ruhig drei Tage in einer Polizeistation bleiben, ließ mich zu der Telefonaktion mit Protesten beim AA und bei der Berliner Botschaft Djiboutis greifen – die unglaublich erfolgreich war. Unglaublich, wie die Leser sich eingesetzt haben, total nett, sehr anrührend, die ganze Familie ist dankbar! Geistige Kräfte soll man nie unterschätzen, ganz unabhängig von religiösen Überzeugungen.

Am Freitag wurde ich dann zweimal „verhört“, tatsächlich war das eine Aufnahme meiner Erzählungen zum ganzen Hergang, beim zweiten Mal von einem sehr interessanten und gescheiten Kerl, hochrangig offenbar, mit dem ich mich spontan anfreundete: grundlegende, gemeinsame politische Überzeugung: Die politischen Ideen der Deutschen Mitte werden weltweit Furore machen, das ist sicher… In allen Gesprächen mit djiboutischen Offiziellen habe ich mich vehement dafür eingesetzt, die „Iran Shahed“ im dortigen Hafen endlich anlegen zu lassen: Eine genaue Inspektion der Ladung sei eine große Chance für die ganze Hilfsaktion und die bedürftigen Jemenis. Auch Polizei-Leutnant Abdilai, der zunächst wegen meiner Protest-Aufrufe mit einem Wutanfall in meinen Warteraum gerannt kam, war sehr schnell beschwichtigt, als er die Hintergründe hörte. Wir schieden in herzlichem Einvernehmen. Abgeholt wurde ich vom amtierenden Botschafter Sauerteig, der mir ja zunächst die drei Nächte bei der Polizei in Aussicht gestellt hatte – und einem weiteren Herren ohne Visitenkarte, beide machten eine sehr sympathischen Eindruck. Herr Sauerteig schlug dann vor, wir hätten vielleicht den ganzen Ärger mit einer Videokonferenz vermeiden können… ;-))

Hintergrund der iranischen Politik

Der Iran ist heute ein gespaltenes Land, nicht nur, was die Beurteilung des existenziellen 5+1-Komplexes angeht. Die Spaltung verläuft entlang der beiden großen politischen Linien „Reformisten“ gegen „Prinzipalisten“. Die jetzige Regierung gehört eindeutig zu den ersteren. Aus meiner Sicht bedaure ich diese Lage: Das Vertragswerk liegt nicht vor, wie kann man da jetzt schon dafür oder dagegen sein? Es wird ein paar Prinzipien geben müssen, nach denen alles beurteilt werden kann, zum Beispiel: totales Ende aller Sanktionen, Ende aller wirtschaftlichen Entwicklungsblockaden und des ganzen globalen politischen Mobbings gegen den Iran der letzten 35 Jahre. Und: Der Iran benötigt dringend Reformen – doch hoffe ich, dass die guten Prinzipien der Revolution bestärkt und nicht verwässert werden. Auch für den Iran könnte allerdings gelten, dass es nicht auf die Kopfbedeckung ankommt, sondern auf den Inhalt, nur so als Beispiel… Und: Starke Kräfte im Iran neigen eindeutig den USA und den mafiotischen Kartellen zu, hier stellt sich die Frage des Hochverrats ebenso wie bei uns, das ist sehr gefährlich!

Was da an Bord der „Iran Shahed“ mit uns geschehen ist, spiegelt den inneriranischen Streit wieder: Die Regierungskräfte wollten offenbar nicht, dass in die entscheidende letzte Phase der Verhandlungen ständig diese harsche Kritik an USA, Saudi-Arabien etc. hineinkracht. Das erscheint sehr verständlich, wenn auch politisch falsch: Wer sich schon während Verhandlungen von höchst notwendigen humanitären Missionen abbringen lässt, währen die andere Seite einen ganz Krieg vom Zaun bricht: Jemen, – oder die Lage anheizt: Irak, Syrien, Libanon! – ist politisch ziemlich erledigt; auch in den Verhandlungen! Und: Tehran ließ ja insgesamt die notwendige politische Unterstützung für die Hilfsaktion vermissen, da MUSSTEN wir uns auch medial wehren! Klar lag das auch im Kalkül der prinzipalistischen Opposition. Insgesamt wurde hier ein inneriranischer Streit auf dem Rücken ausländischer Gäste ausgetragen. Den iranischen Roten Halbmond konnte Teheran offenbar nicht von der Idee des Hilfstransports und der ganzen Aktion abbringen – aber man konnte uns die medialen Flügel stutzen und Schwierigkeiten machen. Im Roten Halbmond und drumherum  sind offenbar die Prinzipalisten stärker, das beantwortet möglicherweise manche Frage zum unrunden Ablauf. Denn zum Beispiel eine Inspektion der Ladung hätte man schon im Iran beim Einladen durchführen können, das müsste selbstverständlich sehr gut kommuniziert und politisch durchgesetzt werden. Kommunikation bleibt jedoch weiterhin eine eklatante Schwäche im gesamten politischen Spektrum des Iran, nicht nur ich habe mir in den letzten zehn Jahren daran die Zähne ausgebissen.

Fazit: Stärker als jede außenpolitische „Feindeinwirkung“ ist der Schaden, den der Iran sich selbst zufügen kann – nahezu auf jedem Gebiet.